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Ist Titandioxid alternativlos?

 

Titandioxid wurde im August 2022 in Lebensmitteln verboten, da eine karzinogene Wirkung nicht völlig ausgeschlossen werden kann. Seitdem sind Ersatzstoffe für das Pigment, unter anderem in Kosmetika, Arzneimitteln und Dispersionsfarben, im Gespräch. In Sonnenschutzmitteln spielt Titandioxid immer noch eine dominante Rolle als Alternative zu den chemisch-synthetischen Filtern. 

 

Sowohl die Aufnahme von Titandioxid (E171) über die Lunge als auch die Resorption über den Magen-Darm-Trakt wird von der EFSA (European Food Safety Authority) als nicht mehr sicher und potentiell krebserzeugend eingestuft. Dem hat sich das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) angeschlossen. Die mögliche Resorption war das Kriterium für das Verbot in Lebensmitteln durch die Europäische Kommission im Jahre 2022. Der Europäische Gerichtshof hat allerdings vor kurzem die Einstufung von TiO2 in Pulverform seitens der EU-Kommission als "krebserzeugend" für nichtig erklärt.
Inwieweit die vom Körper aufgenommenen Mengen für eine Karzinogenese bei Menschen tatsächlich relevant sind, lässt sich aus den gegenwärtig vorliegenden Daten abschließend nicht beurteilen. Obwohl in Bereichen außerhalb von Lebensmitteln noch keine weiteren Verbote in Aussicht stehen, hat die Andeutung von Risiken jedoch dazu geführt, bereits präventiv über einen zukünftig notwendigen Ersatz nachzudenken. Denn in die Lunge gelangen auch Aerosole aus Haarstyling-Sprühdosen und Farbnebel beim Versprühen von Dispersionsfarben.

Nano- versus nicht nano-skaliges Pigment

Die Aufnahme von Titandioxid aus Sonnenschutzmitteln durch die Haut wurde bereits diskutiert, solange es sich noch um den Einsatz von Nanodispersionen handelte, die mittlerweile aber vollständig vom Markt verschwunden sind. Dagegen ist das nicht-nanoskalige Pigment für diesen Zweck weiterhin im Gebrauch.

Kein universeller Ersatz

Dem Risiko in Lebensmitteln gleichzusetzen ist die Verwendung des Hilfsstoffes in Lippenstiften, Zahnpasten und dekorativen sowie vor Licht schützenden Überzügen von Tabletten, Hart-, Weichgelatinekapseln und anderen pharmazeutischen Produkten. Sie werden unabsichtlich oder willentlich verschluckt.
Seine Eigenschaften als Weißpigment mit dem Code CI 77891 (CI = Color Index) bei gleichzeitig hoher Stabilität gegenüber den anderen Stoffen, mit denen es zusammen in Mischungen verwendet wird, machen den universellen Ersatz von Titandioxid derzeit praktisch unmöglich. Daher kommen je nach Zielsetzung verschiedene Stoffe infrage. Neben einigen biologisch abbaubaren, organischen Vertretern handelt es sich bei den meisten Ersatzstoffen um anorganische Pigmente.

Biologisch abbaubare Stoffe

Soweit es im Lebensmittelbereich um pulverförmige Produkte geht, die als solche verzehrt oder weiterverarbeitet werden, liegt es nahe, verdauliche, weiße Naturstoffe zu verwenden. Es bieten sich Polysaccharide wie Stärke aus Weizen, Reis oder Bambus und deren Derivate an. Polysaccharide sind allerdings mehr oder weniger auf pulvrige Lebensmittel und kosmetische Puder beschränkt – inklusive Zwischenprodukten, die ansprechend aussehen sollen, aber zur Weiterverarbeitung dienen. Die optischen Qualitäten reichen jedoch nicht an die des Titandioxids heran. Auch kann die Luftfeuchte-abhängige Klebrigkeit von Nachteil sein.
Ein Vorteil der Stärken gegenüber nichtabbaubaren anorganischen Pigmenten ist allerdings das wesentlich geringere Risiko einer von der Teilchengröße abhängigen Lungenfibrose durch Stäube und der damit verbundenen möglichen Karzinogenese.

Stäube

Die Gefährdung durch Stäube ist dann relevant, wenn die Lunge in speziellen Arbeitsbereichen einer länger andauernden, ständigen Belastung ausgesetzt ist, beispielsweise in der Produktion, im Baugewerbe und im Bergbau. Das trifft auf die sporadische Verwendung von kosmetischen Pudern im Alltag in der Regel nicht zu. Nichtsdestotrotz gehen die Bestrebungen dahin, auch geringe Risiken zu eliminieren. Ein Beispiel ist der Verzicht in Pudern auf Talkum (CI 77718), das Asbestanteile enthalten kann.
Mitunter hängt es von den Kristallmodifikationen ab, ob und wie stark fibrogen ein Stoff wirkt und wie gut er in der Lunge abbaubar ist. Das Verschlucken, z. B. bei der Verwendung von Lippenstiften, ist dagegen bei durchweg allen anorganischen Pigmenten kein Problem. Giftige Stoffe, wie das früher verwendete Bleiweiß (CI 77597), einer Verbindung aus Bleicarbonat und Bleihydroxid, wurden in die Verbotsliste der Kosmetikverordnung (KVO) aufgenommen.

Anorganische Pigmente

Bei topischer Anwendung von Pigmenten in Form von Pudern ist die Reaktion mit Hautbestandteilen zu beachten. Calciumcarbonat (CI 77220; INCI: Calcium Carbonate), Magnesiumcarbonat (CI 77713; INCI: Magnesium Carbonate) sowie in geringerem Ausmaß Magnesiumoxid (INCI: Magnesium Oxide) und das zuweilen in Sonnenschutzmitteln vorkommende Zinkoxid (CI 77497; INCI: Zinc Oxide) neigen dazu, auf der Hautoberfläche Säuren zu binden und damit die Barriere zu stören.
Die Folgen sind trockene Haut und bei extensiver Verwendung ekzematische Erscheinungen. Bei der Verarbeitung dieser Verbindungen in Cremes muss darüber hinaus mit chemischen Instabilitäten gerechnet werden, da Triglyceride, etwa aus nativen Ölen, und andere Fettsäure-Ester angegriffen werden.
Während die Carbonate und Oxide wasserunlöslich sind, hat Calciumsulfat (CI 77231; INCI: Calcium Sulfate) eine geringe Wasserlöslichkeit und kann so die Hautbarriere noch leichter angreifen. Dabei werden destruktive Kalkseifen gebildet. Ein Grund übrigens, im Institut bei Verwendung Calciumsulfat-haltiger, erhärtender Gesichtsmasken möglichst eine öl- oder fetthaltige Trennschicht zwischen Haut und Maskenmasse einzuplanen.
Die Giftigkeit eines Elementes, wie z. B. Barium, ist ebenfalls von seiner Wasserlöslichkeit abhängig. So sind lösliche Bariumsalze in der Kosmetik generell verboten, während das völlig wasserunlösliche Bariumsulfat (CI 77120; INCI: Barium Sulfate) ohne Einschränkung verwendet werden kann. Daher kann es auch als orales Röntgenkontrastmittel eingesetzt werden.
Verbotene giftige Elemente wie das Schwermetall Blei können spurenweise in anderen Pigmenten vorkommen und sind solange unkritisch, wie sie fest gebunden sind. Das ist typisch für natürliches Kaolin (CI 77005; INCI: Kaolin), einem Rohstoff für die Porzellanindustrie ("Porzellanerde"), der sowohl als Pigment als auch Füllstoff, unter anderem in der Kosmetik, Verwendung findet. Hier spricht man von zwar unerwünschten, aber technisch nicht vermeidbaren und gesundheitlich unbedenklichen Gehalten.
Der Gesetzgeber schreibt nur vor, dass bei unterschiedlicher Provenienz die Qualität mit dem niedrigsten Schwermetallgehalt einzusetzen ist. Kaolin ist in Make-up-Präparaten und Enzympeeling-Masken enthalten. Zu ähnlichen Zwecken dient mineralischer Glimmer (INCI: Mica), ein Perlglanzpigment, das gegebenenfalls mit Siliciumdioxid ("Kieselsäure") überzogen ("gecoatet") ist.
Siliciumdioxid, in seiner Cristobalit-Modifikation, zeichnet sich durch hohe Farbsättigung und Reflektion aus. Das Pigment wird unter anderem in Zahnersatz, Dichtstoffen und Feinputz verarbeitet. Es hat wie andere Silicate, insbesondere Alumosilicate, den Nachteil eines hohen Fibrose-Potentials. In diesem Fall spricht man von einer "Silikose". Demenentsprechend gibt es detaillierte Schutzvorschriften für den Umgang mit Cristobalit und Quarzstäuben allgemein.

Weitere Pigmente

Eine lange bekannte Mischung von Bariumsulfat und Zinksulfid ist Lithopone, das in eher technischen Bereichen verwendet wird, wobei Zinksulfid (INCI: Zinc Sulfide) im CosIng-Register der kosmetischen Inhaltsstoffe als Mittel zur Haarentfernung registriert ist.
Daneben existiert noch eine Reihe weiterer Stoffe, die in der Kosmetik verwendet werden können, darunter Bornitrid (INCI: Boron Nitride), Bismutchloridoxid (CI 77163; INCI: Bismuth Chloride Oxide).
Als Weißpigment für Flüssigputze und Dispersionsfarben ist noch das Calciumaluminiumsulfat (Satinweiß) sowie für den Arzneimittelbereich das Dicalciumphosphat als in der Regel suboptimale Titandioxid-Alternative zu nennen.

Deckkraft

Neben gesundheitlichen und ökologischen Aspekten der Ersatzstoffe sind letztendlich die von einem möglichst hohen Brechungsindex abhängige Deckkraft und die damit verbundene geringere Schichtdicke der Weiß-Pigmente von entscheidender Bedeutung für die dekorative Kosmetik und den Sonnenschutz.
Die aufgeführten Ersatzstoffe müssen durchweg in wesentlich höherer Konzentration als Titandioxid eingesetzt werden oder taugen wie das Calciumcarbonat allenfalls als Füllstoffe. Bei technisch passenden Alternativen wie dem Zirkondioxid (CI 77990) ist der hohe Preis das Ausschlusskriterium. Ein wirklich brauchbarer Ersatz von Titandioxid in der Kosmetik ist daher bislang nicht in Sicht.

Nach wie vor Titandioxid

Bei Dispersionsfarben hat man sich darauf geeinigt, Produkte, die nach wie vor Titandioxid enthalten, mit Warnhinweisen zu versehen, wenn sie mehr als 1% Titandioxid enthalten. Außerdem wird auf die potenziell kanzerogene Wirkung und Vorsichtsmaßnahmen hingewiesen, die bei der Verwendung einzuhalten sind. Die Deklaration gilt auch für feste, pulverförmige Produkte mit Teilchengrößen von ≤ 10 Mikrometer.

Dr. Hans Lautenschläger

 


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veröffentlicht in
Beauty Forum
2023 (3), 96-98

 
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